Goethe hat in seinem Faustdrama die durch Industrialisierung und Revolution sich andeutende Zeitenwende verarbeitet. Die durch die Aufhebung der natürlichen Grenzen des Menschen und die Fragmentierung der Wissenschaft entfesselten Kräfte waren ihm zutiefst suspekt. Obwohl das Internet noch in weiter Ferne lag, sah er mit erstaunlicher Klarheit die Zerrissenheit des modernen Menschen voraus, seine Abspaltung von der göttlichen Natur, seine Hybris und seine Unersättlichkeit, die in ihrem technischen Zugriff auf die Welt letztlich (selbst)zerstörerisch wirkt. Mephisto ist ein sehr moderner Teufel: Er arbeitet mit Täuschung und virtuellen Scheinwelten, für die der narzisstische Faust anfällig ist. Faust als leidenschaftlicher Phantast, der keine Grenze respektieren will, und Mephisto als zynischer Realist und Nihilist sind dabei wie zwei Seiten einer Medaille. Nicht ohne Grund hat Goethe sein Leben lang an diesem Weltdrama gearbeitet.
Beate Himmelstoß, Philosophin und BR-Sprecherin, beleuchtet die philosophische Dimension des Werks und zeigt, wie wegweisend Goethes universale und zutiefst künstlerische Weltsicht für uns heute sein kann.